Costantino Ciervo
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Eine Hand wäscht die andere, 1997 - Kinetische Installation - Fotografie, Holz, Aluminiumrohr, Räder, Zahnräder, Fahrradkette und Motor.
164 x 184 x 25 cm

Die kinetische Foto-Installation "Eine Hand wäscht die andere" ist 1997 entstanden und wurde im gleichen Jahr erstmalig in der Einzelausstellung "Cogito Ergo Sunt" in der Galerie Vostell Berlin ausgestellt. Im begleitenden Katalog beschreibt Michaela Nolte die Installation wie folgt: "In der Foto-Installation (…) nimmt der Künstler in einer Momentaufnahme die derzeit größte Baustelle der Welt, den Potsdamer Platz [in Berlin], ins Visier und montiert vor den Hintergrund der hochkomplexen Logistik dieser High-Tech-Baustelle eine mechanische Konstruktion, die mit ihren Zahnrädern, der simplen Kette und dem rohen Metallrohr wie ein kafkaeskes Fossil aus der frühen Ära der Industrialisierung wirkt. In einer Zeit, in der PR-Strategen Baustellen zu 'Schaustellen' schönreden, präsentiert uns Ciervo den Potsdamer Platz wie eine klaffende Wunde (…). Das Metallrohr bewegt sich horizontal zwischen linkem und rechtem Bildrand - zwischen Daimler Benz und Sony. (…) Die Philharmonie mit dem Kammermusiksaal im Hintergrund erscheint zwischen diesem gespensterhaften Duett wie in einer Umklammerung gefangen, wie eine Trias des Vergänglichen wirken die organischen und irrationalen Gestaltungselemente Scharounscher Architektur, das 'Weinhaus Huth' aus der Gründerzeit zur linken und die Rudimente des neobarocken 'Hotel Esplanade' zur rechten Seite; die letzteren reduziert auf die Funktion einer Werbefläche für die Bauherren der Zukunft."
Der Potsdamer Platz Berlin war ein Mythos, ein pulsierendes Zentrum bis in die Goldenen Zwanziger Jahre und moderner Verkehrsknotenpunkt bis in die Nazizeit, und geriet erst nach der Teilung Deutschlands und Berlins in eine unbedeutende Randlage. Dies änderte sich nach der Wiedervereinigung und die Geschichte der Planung und Umsetzung der Neubebauung des Areals ist auch eine von Filz und Korruption. In einem Artikel des Nachrichtenmagazins "Spiegel" 1996 heißt es: "Altes und Neues, Moderne und Vergangenheit: Nirgendwo sonst in Deutschland stoßen die Gegensätze so hart aufeinander wie in dieser Stadt [Berlin]. Wo die 700 Quadratmeter große Bodenplatte des Führerbunkers noch sieben Meter unter der Erde liegt, werden 900 Meter weiter die Fundamente für das neue Kanzleramt gegossen. Nirgendwo sonst prallen die Lebenswelten von Ost- und Westdeutschen dermaßen aufeinander wie in der 28 Jahre lang durch die Mauer geteilten Weltstadt von ehedem. Hier protzen kalte Büropaläste neben realsozialistischen Plattenbauten und bröckelnden Mietskasernen. Dort blickt die Elite des neuen Deutschland in luxuriösen Dachgeschossen auf die Einheitsverlierer in den alten Arbeiterquartieren." Auch hierfür steht die Entwicklung des Potsdamer Platzes symbolisch.
Ciervo reflektiert all dies kritisch und symbolisch. Für ihn ist diese Arbeit "eine kritische Auseinandersetzung mit der Entwicklung vom Postfordismus, Kapitalismus bis hin zur neuen Ära des neoliberalen Kapitalismus. Der Potsdamer Platz, einer der wichtigsten innerstädtischen Plätze Europas - von hier aus gingen sowohl Kulturentwicklung als auch Kriege hervor - ist zum Symbol der Repräsentanz der Weltmärkte geworden. Das innerstädtische Leben wird von den profitorientierten Marktkräften bestimmt. Die romantische Idee des Zusammenlebens, Symbol der "Piazza", wird parodiert durch Events und Spektakel. Tagsüber ist das Leben auf dem Platz durch touristische Aktivität bestimmt und abends verödet die kalte Bürolandschaft."
Die Installation "Eine Hand wäscht die andere" ging 1997 in den Besitz der Firma BSM (Beratungsgesellschaft für Stadterneuerung und Modernisierung) und wird nach einer Restaurierung im April 2021 in der Sammlung des "Museum Fluxus+" in Potsdam gezeigt.