Costantino Ciervo
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1 Minute und 13 Sekunden, 2001

Projektentwurf einer Video- und Klanginstallation für den Haseschacht Osnabrück,
(nicht realisiertes Projekt)

Das ehemalige Steinkohlebergbau-Gebiet am Piesberg im Norden von Osnabrück ist eines der ältesten Bergbaugebiete in Deutschland (Kohlenabbau seit etwa 1540). Deshalb ist das Gebiet ein Zeugnis der Industriekultur und ein Symbol für die beginnende Industrialisierung und die Industrielle Revolution im 19. Jahrhundert, als ein neuer wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Kontext entstand: Entwicklung der kapitalistischen Marktwirtschaft, Entstehung des Rechtsstaates, Bildung der Arbeiterklasse und des Bürgertums. Das Projekt reflektiert die seitdem immer enger werdende Beziehung und Verflechtung zwischen Macht, Wirtschaft und Politik und in Bezug darauf die Rolle einer vermeintlich neutralen technologischen Entwicklung. Rolf Spiker schreibt in einer Broschüre des Museum Industriekultur Osnabrück: "Es gibt im regionalen Bereich wohl kaum einen Raum, in dem der "landschaftsbildende" Eingriff des Menschen derart massive und vielgestaltige Folgen hinterlassen hat, in dem die komplexen Zusammenhänge des Beziehungsgeflechtes "Mensch, Natur, Technik" auf diese Weise anschaulich und "erfahrbar" gemacht werden können."
Im Haseschacht wurde ehemals untertage hochwertige Kohle gefördert und Wasser abgepumpt. Außerdem gründete der Flugpionier Ernst Friedemeyer, "der erste Osnabrücker, der wirklich flog", in der Netter Heide 1911 die "Flugzeug Baugesellschaft Osnabrück mbH" und errichtete eine Flugzeughalle auf dem Gelände. Somit treffen an diesem Ort der menschliche Expansionsdrang sowohl ins Innere der Erde als auch in den Himmel (und später in das Weltall) zusammen.
Der Haseschacht ist 30 Meter tief und durch einen gläsernen Fahrstuhl zugänglich. Für die Installation "1 Minute 13 Sekunden" sollte auf dem Dach des Fahrstuhls ein Videobeamer mit Videoplayer montiert werden. Im Inneren der Fahrstuhlkabine sollte ein Monitor mit einem zweiten Videoplayer untergebracht und an den Wänden der Fahrstuhlkabine Lautsprecher angebracht werden. Die Lautsprecher übertragen Töne vom Start der US-amerikansichen Space Shuttles "Challenger" am 28. Januar 1986 und Originalstimmen aus dem Kontrollraum. Sobald Besucher des Stollens den Fahrstuhl nutzen, um nach oben in das Museums zu gelangen, wird der Start und kurze Flug der unmittelbar nach dem Start verunglückten Raumfähre an die Wand des Fahrstuhlschachtes projiziert. Gleichzeitig werden im Inneren des Fahrstuhls auf dem Monitor die Gesichter von Ronald Reagan (damaliger US-Präsident) und den Angehörigen der Besatzungsmitglieder gezeigt, die unmittelbare Augenzeugen des Unglücks waren.
Das Publikum bewegt sich mittels des Fahrstuhls ebenfalls nach oben und kann so die Aufnahme direkt mitverfolgen. Sobald der Fahrstuhl oben ankommt, schaltet sich die Projektion automatisch - sofort nach der Explosion der "Challenger" - aus. So nimmt die Installation ebenso die komplexen Zusammenhänge des Beziehungsgeflechtes "Mensch, Natur, Technik" ins Visier und wirft die Frage nach Grenzen des Fortschritts, Ursachen und der Verantwortlichkeit für technische Tragödien auf.