Costantino Ciervo
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Pale-Judea, 2002/2011

kinetische zwei-Kanal-Videoskulptur
Mediaplayer, TFT/LCD Monitore, Waage, Scheibenwischermotor, Magnet, Holz, Metall
43,4 x 52,6 x 19 cm


Die Idee zum Projekt "Pale-Judea" entstand im Juli 2001. Nach dem Scheitern der Verhandlungen in Camp David 2000 wollte ich ein Video zu einem Thema machen, das mir seit Jahren am Herzen liegt: Palästina und Israel. Hier in Nahost fließen die drei monotheistischen Religionen zusammen, die sehr stark verbunden sind durch denselben Patriarchen (Abraham/Ibrahim) und dieselben biblischen Propheten. Und hier hassen und bekämpfen sich zwei Völker: die jüdischen Israelis und die islamischen palästinensischen Araber.
Meiner Meinung nach spielen die religiösen Unterschiede in diesem Konflikt nur eine geringe Rolle. Die Ursachen für die Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern sind vielmehr komplexe, dialektische Verflechtungen im Bereich der Ökonomie, der Geschichte, der Psychologie und Anthropologie, wenn auch diese Verflechtungen an dieser Stelle nicht eingehender beschrieben und analysiert werden können.

Das Video "Pale-Judea" basiert auf einer symbolischen Bildsprache. Es geht um Zwillinge, die fast identisch aussehen und einander gegenüber stehen. Beide führen ein emotional aufgeladenes Streitgespräch, in dem es um Gebietsansprüche beider Seiten auf dasselbe Territorium geht. Beide Rollen wurden von demselben Schauspieler gespielt und die Gegenüberstellung der vermeintlichen Zwillinge erfolgt durch digitale Technik.
Das Bühnenbild ist auf ein Minimum reduziert. Der Schauspieler erscheint als Torso vor schwarzem Hintergrund. Der jüdische Israeli hat eine Brille, trägt einen dunkelgrünen Pullover, gestikuliert zurückhaltend und wirkt körperlich etwas robuster. Der Palästinenser gestikuliert stärker, trägt keine Brille und ist mit einem dunkelroten Pullover bekleidet.

Grundlage des Textes (Streitgespräches) sind eingehende literarische Studien gewesen. Autoren, die eine wichtige Rolle spielen sind u. a.: Friedrich Schreiber, ehemaliger Korrespondent der ARD im Nahen Osten, Avi Primor, ehemaliger israelischer Botschafter in Berlin, Uri Avneri, Träger des alternativen Friedensnobelpreises und israelischer Friedensaktivist. Darüber hinaus habe ich Informationen gesammelt durch religionswissenschaftliche Texte, Fernsehdokumentationen sowie in Gesprächen mit Freunden und Bekannten.
Der Text des Streitgespräches erhebt nicht den Anspruch auf Neutralität und will kein authentisches Gespräch zwischen einem "echten" Israelis und einem "echten" Palästinenser nachahmen. Das Gespräch ist eine Inszenierung. Für mich ist es wichtig, in dem Gespräch historisch fundierte Fakten zu erwähnen. Ausgewählt habe ich die Argumente, die mir geeignet erschienen und mich persönlich betroffen gemacht haben und die sonst - besonders im Hinblick auf die Palästinenser - nur selten publik gemacht werden. Ich habe versucht, mich in die Rolle beider Parteien hineinzuversetzen, ohne meine eigene Subjektivität zu negieren. Das Video ist weder neutral noch propagandistisch, was meiner Meinung nach durch die symbolische Bedeutung der Zwillinge erreicht wird. (...)

Costantino Ciervo , Berlin 19-06-2002

 

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Streitgespräch für das Video/Projekt "PALE-JUDEA", 2001/2002

Text: Costantino Ciervo
Redaktion: Manuela Lintl


X:
Ich stelle den Juden dar. Ich kann fortschrittlich oder konservativ, weltlich oder religiös, reich oder arm, gebildet oder ungebildet sein. Meine Heimat ist Israel.

Y:
Ich stelle den Palästinenser dar. Ich kann fortschrittlich oder konservativ, weltlich oder religiös, reich oder arm, gebildet oder ungebildet sein. Meine Heimat ist Palästina.

X:
Ich gehöre zum auserwählten Volk, Israel ist das verheißene Land. Hier sind meine Wurzeln.

Y:
Ich bin Palästinenser. Vom Land Kanaan bis heute haben wir die Beziehung zu Palästina nie verloren. Palästina ist unsere Heimat, und ich halte nichts vom auserwählten Volk. Der Koran bezieht sich auf die gesamte Menschheit, nicht auf ein auserwähltes Volk.

X:
Wir sind die ersten gewesen, die an Gott geglaubt haben.

Y:
Das bestreiten wir nicht.

X:
2000 Jahre wurden wir vertrieben und verjagt. Auch nach der Aufklärung in Europa war unser Leben ständig in Gefahr. Der Holocaust spricht für sich … Millionen...

Y:
Dafür tragen wir keine Verantwortung.

X:
Wir mussten bis zum Jahr 1948 warten, um unsere Unabhängigkeit, Freiheit und Würde zu erlangen!

Y:
Ja, auf unsere Kosten.

X:
Wenn wir nicht da gewesen wären, würden die Palästinenser entweder zu Nordägypten oder zu Westjordanien oder zu Südsyrien gehören…

Y:
Einen Moment… Ich möchte ein klares Beispiel geben... Eines Tages kommt ein Mensch zu dir in dein Haus und bittet um Gastfreundschaft, weil er auf der Flucht ist und sein Leben in Gefahr ist. Du gibst ihm ein Zimmer. Nach einigen Tagen sagt er dir, dass seine Vorfahren in dem Haus gelebt haben und deshalb will er dort bleiben. Du bist nicht einverstanden. Daraufhin kommt es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung. Der Gast geht daraus als Sieger hervor und nimmt anschließend das ganze Haus in Besitz.
Das ist das, was ihr gerade macht.

X:
Ich glaube nicht, dass die Juden die Palästinenser vertrieben haben. Ich glaube nicht, dass die arabischen Länder die Palästinenser gut behandelt haben. Vor 50 Jahren wurden die Palästinenser mit Stacheldraht eingezäunt, und zwar nicht von den Israelis, sondern von den Arabern.
Damals wollten die Araber die Palästinenser nicht, heute wollen die Juden sie nicht. Warum, frage ich mich? Woran liegt das?

Y:
Wohl an uns…unglaublich! Wir sind ein Volk. Ich bin Palästinenser. Unsere Wurzeln reichen zurück bis zum Land Kanaan. Wir haben seit Tausenden von Jahren hier gelebt. Wir wollen uns nicht in ein anderes arabisches Land integrieren. Es sind zwar unsere Brüder, aber ich bin ein Palästinenser und kein Ägypter oder Syrer…

X:
Ihr wart auf der Seite von Hitler.

Y:
Das war eine normale Reaktion auf den Zionismus und den Kolonialismus. Wir sind nicht verantwortlich für den Holocaust.

X:
Erstaunlich, was hier gesagt wird!

Y:
Ja erstaunlich! Wir waren nie antisemitisch! Wir waren die ersten und einzigen in der Geschichte, die euch vor Verfolgung beschützt haben.

X:
Für diesen Schutz mussten wir Kopfgeld zahlen. Und warum? Ist dies nicht das Land von Abraham? Ist dies nicht das Land, in dem wir vor 3.000 Jahren den ersten Tempel gebaut haben? Wir sind zurückgekehrt.
Wir sind als Pioniere in den Sumpf und die Wüste gegangen, um die neue Heimat unter oft großen Entbehrungen urban und fruchtbar zu machen. Wir haben die Qualität des Lebens verbessert, eine moderne Industrie und eine moderne Gesellschaft errichtet. Wir haben Arbeitsplätze geschaffen, und zwar auch für euch.

Y:
Vor 7.000 Jahren, als ihr noch in Zelten gelebt habt, waren wir in der Lage Paläste, Pyramiden, Straßen und Städte zu bauen.


X:
Ihr habt euren Göttern Menschen geopfert.

Y:
Wir bekennen uns zur arabischen Kultur.
Unsere Zivilisation in diesem Land ist die Wiege der Menschheit. Eure Könige haben von 1.200 v. Chr. bis 928 v. Chr. in diesem Land regiert. Und sie haben auch nur von 965 bis 928 v. Chr. über das Gebiet vom Euphrat bis zum Nil, vom Jordan bis zum Mittelmeer geherrscht. Insgesamt also nur 270 Jahre!
Dann folgten die Völker aus den Territorien der heutigen arabischen Länder Iran, Irak, Syrien, Ägypten, Libanon und Jordanien. Die Römer und die Christen waren die nächsten, von 6 n. Chr. bis 636 nach Christus. Sie haben euch alle Rechte genommen, auch das Bleiberecht. Erst der Islam hat euch befreit und euch erlaubt zurückzukehren und in den heiligen Stätten zu beten.

X:
Wir waren für euch Bürger 2. Klasse.


Y:
Wir haben euch Schutz geboten vor der christlichen Verfolgung. Wir waren eure Befreier. Und als man euch im Jahre 1492 von der Iberischen Halbinsel vertrieben hat, hat das Osmanische Reich euch Schutz und die Rückkehr in das Heilige Land gewährt.

X:
Ja, aber wir durften nicht den Staat Israel gründen!

Y:
Das ist unser Land, von dem Mohammed ausflog Moses zu treffen. Das ist das Land, in dem die Bevölkerung von 636 n. Chr. bis 1948 fast ausschließlich aus arabischen Palästinensern bestand. Mit welcher Legitimation habt ihr uns das Land weggenommen? Mit welchem Recht habt ihr einen Unabhängigkeitskrieg geführt und uns aus unseren Dörfern, von unseren Feldern und aus unseren Städten vertrieben?

X:
Ich sage es noch mal,...wir haben euch nicht vertrieben!

Y:
Wir wurden mit brutaler Gewalt vertrieben.


X:
Am Tag nach der Gründung unseres Staates wurden wir von sieben arabischen Ländern überfallen zu dem einzigen Zweck uns zu vernichten! Wir haben uns verteidigt und gewonnen. Seitdem sind wir ständig im Kriegszustand. Aber dennoch waren wir in der Lage, eine Demokratie zu errichten. Übrigens, die einzige Demokratie in der ganzen Region!

Y:
Eine Demokratie?! Eure Politiker sind meist Soldaten, die den größten Teil ihres Lebens beim Militär verbracht haben. Einige von ihnen sind erwiesenermaßen verantwortlich für Massaker an unserem Volk. Eure Politik besteht darin, uns los zu werden. Eure Siedlungen kreisen unsere Dörfer ein und sind bewohnt von Fanatikern. Ihr gettoisiert uns in unserem eigenen Land.

X:
In der schlimmsten Zeit der Geschichte unseres Volkes, als die Öfen 10.000 menschliche Körper pro Tag verbrannten, erlaubten die Engländer 4.200 Juden pro Jahr, sich in das versprochene Land zu retten.

Y:
Für eure Verfolgung sind wir nicht verantwortlich!

X:
Ja?...und was ist mit dem Treffen zwischen dem Großmufti von Jerusalem Amin el-Hussaini und Hitler?

Y:
Wir wollen nicht vergessen, dass es davor die Balfour Erklärung gab, die unser Land zur Kolonie und zum frei zu besiedelndem Einwanderungsland erklärte, als ob die Palästinenser nicht existieren würden.

X:
Eure Politik ist immer eine Politik des Terrors und der Gewalt gewesen. Ihr seid unfähig, euch demokratisch zu organisieren.

Y:
1948 habt ihr uns unsere Existenz genommen, seitdem ist unser Land besetzt. Es gibt keine gute oder schlechte Besatzung. Die Besatzung ist Ursache für den Terror.

X:
(X) Jetzt kommen wir zur aktuellen Situation:
Warum hat Arafat keine Autorität? Warum kann er im eigenen Lager keine Ordnung schaffen?

Y:
Ihr habt dafür gesorgt, dass Arafat keine Autorität mehr hat! Warum zerstört ihr unsere Häuser, unsere Hubschrauber, Polizeistationen, Schulen, Gefängnisse, ...unseren Flughafen, unsere Radiostation? Warum habt ihr das Abkommen von Oslo nicht umgesetzt?

X:
Weil euer Terror es unmöglich gemacht hat.

Y:
Das glaube ich nicht. Es gibt keinen Frieden ohne Gerechtigkeit...Es gibt keinen Frieden ohne einen palästinensischen Staat mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt,....

X:
...Warum habt ihr 1947 die Teilung Palästinas durch die Volksgemeinschaft nicht akzeptiert? Damals war das Angebot für die Palästinenser viel besser als das, was euch in Oslo gemacht wurde.

Y:
Wir wurden von außen aufgefordert, einen Teil unseres Landes abzugeben, historisch und psychologisch gesehen (X) eine ganz normale Reaktion.

X:
Warum habt ihr die Chance durch das Angebot von Camp David 2000 abgelehnt?

Y:
Kein normaler Mensch hätte dieses Angebot angenommen! Außerdem...

X:
Das war ein gutes Angebot...97% der Westbank sollten den Palästinensern zurückgegeben werden, aber Arafat...

Y:
97% der Westbank sollten den Palästinensern zurückgegeben werden, aber ohne Ostjerusalem, das ausschließlich von Palästinensern bewohnt ist. Die Westbank wäre in zwei Teile, Nord und Süd geteilt worden, getrennt durch jüdische Siedler und die israelische Armee.
Wie kann so ein palästinensischer Staat entstehen! Außerdem ist die Frage der Flüchtlinge...

X:
Die Rückkehr der Flüchtlinge würde die Existent des Staates Israel zunichte machen.

Y:
Unsere Existenz gilt nicht weniger als eure.

X:
Wir lassen uns nie wieder vertreiben!