Costantino Ciervo
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Exodus (Version II), 2007/2011 *

Videoobjekt
Unikat, Mixed Media, Mini-TV-Bildröhre (schwarz-weiß) ohne Gehäuse, verzierte Holzspan-Schale, Reis, Gips, Holzsockel lackiert, Mediaplayer, Videoloop (Found footage) 9 Sek.
Maße: 22 x 20,3 x 40,4 cm (mit Sockel)

Eine handgefertigte, ornamental verzierte (afrikanische) Holzschale in Form eines Bootes ist mit weißem Reis gefüllt. Aus dem Reis ragt eine Mini-TV-Bildröhre heraus, auf deren Bildschirm man ein mit Flüchtlingen überladenes Boot auf dem offenen Meer sieht.

"Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Was erwarten wir? Was erwartet uns? Viele fühlen sich nur als verwirrt. Der Boden wankt, sie wissen nicht warum und von was. Dieser ihr Zustand ist Angst, wird er bestimmter, so ist er Furcht. Einmal zog einer weit hinaus, das Fürchten zu lernen. Das gelang in der eben vergangenen Zeit leichter und näher, diese Kunst ward entsetzlich beherrscht. Doch nun wird, die Urheber der Furcht abgerechnet, ein uns gemäßeres Gefühl fällig. Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern. Hoffen, über dem Fürchten gelegen, ist weder passiv wie dieses, noch gar in ein Nichts gesperrt." (Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung; Erster Band, Vorwort; Suhrkamp; Frankfurt a. M., 1959

Das dreibändige Hauptwerk "Das Prinzip Hoffnung" des deutschen Philosophen wurde zwischen 1938 und 1947 im US-amerikanischen Exil geschrieben und ist 1954 bis 1959 in der DDR erschienen. Von Hegel und Karl Marx beeinflusst, entfaltet Bloch im Prinzip Hoffnung eine umfangreiche Philosophie der Konkreten Utopie.
In dem Videoobjekt "Exodus" wird das "Prinzip Hoffnung" in den Kontext der Ursachen globaler Migration gestellt. Eine einfache, mit einem Schnitzmuster verzierte Holzschale ist mit Reis angefüllt, darin eingebettet befindet sich die Bildröhre eines Mini-TV ohne Gehäuse. Das schwarzweiße Video zeigt in einer Endlosschleife eine kurze Sequenz eines voll besetzten Flüchtlingsbootes, das auf offener See fährt.
Bei der Bewegung in Richtung einer erhofften gerechteren/besseren Welt lassen sich verschiedene Formen der Flucht unterscheiden:
1. Der erzwungene Exodus als Ausbruch aus der Armut, als Flucht vor allgemeiner Diskriminierung und Krieg.
2. Der Nomadismus als Form von Widerstand und Ablehnung in Bezug auf die Sklaverei der Entfremdung und der ökonomischen Ausbeutung.
3. Der onirische Exodus als Form der Flucht in Richtung eines irdischen, konsumistischen Pseudo-Paradieses, vermittelt durch die Medien, die wiederum Formen der Sklaverei hervorruft.

Im ersten und dritten Fall führt die Fluchtbewegung von der Deterritorialisierung zur Reterritorialisierung, im zweiten Fall erleben wir eine Beschleunigung der Deterritorialisierung, deren Bewegung nichts mit der Flucht im herkömmlichen Sinne zu tun hat, sondern eine Art bewusster Kampf gegen die Sklaverei der Verdinglichung des Menschen ist. Die erste und dritte Form von Flucht sind diejenigen, die mehr der brutalen Ausbeutung und möglichen Tragödien ausgesetzt sind. Es darf nicht vergessen werden, dass Tausende von Menschen in den letzten zehn Jahren im Mittelmeer ertrunken (1) oder in Containern erstickt sind oder erbärmlich enden in Prostitution, als illegale Tagelöhner oder im besten Fall in meist unwürdiger staatlicher Unterstützung. Die zweite Form der Flucht jedoch ist ein tendenziell positives, wünschenswertes Phänomen einer menschlichen, fließenden, kreativen Materie, als bewusster Kampf zur Umsetzung einer anthropologisch praktikablen Utopie.

(1) Mindestens 10.000 Menschen sind Expertenschätzungen zufolge in den letzten zehn Jahren auf dem Seeweg über das Mittelmeer von Afrika nach Europa ums Leben gekommen. Bei einer Anhörung im Europäischen Parlament (EP) Anfang Juli erklärte eine Gruppe von Fachleuten verschiedener unabhängiger Organisationen, bis zu 120.000 Boat-People versuchten jedes Jahr, das Mittelmeer auf der Suche nach einem besseren Leben in den Industrienationen zu überqueren. (Stand: September 2007, aktuelle Informationen z. B. auf www.boats4people.org; www.ffm-online.org; http://afrique-europe-interact.net/)