Costantino Ciervo
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Costantino Ciervo - mit einem Gedicht von Marco Mantello
"mare nostrum" - 2020
Technik: synchronisierte 3-Kanal-Videoskulptur, computergesteuert, 3 Raspberry Pi Vers. 2 Typ 512 MB, 3 Display 22 Zoll, Neonschrift, Aluminium, Video: 06:30 Min., 3 x HD Farbe.
Maße: 97 x 171,5 x 19 cm


"mare nostrum" ist eine synchronisierte 3-Kanal Videoskulptur. Das Werk besteht aus einer rechteckigen Fläche aus eloxiertem Aluminium, auf der drei 24-Zoll-Monitore horizontal nebeneinander in einer Struktur aus Metallprofilen montiert sind. Jeder Monitor hat eine Auflösung von 1920 x 1080 Pixel; zusammen bilden sie einen einzigen Bildschirm mit 5760 x 1080 Pixel. Der mittlere Monitor ist etwas vor den beiden seitlichen platziert, was zu dem visuellen Effekt einer größeren Tiefenschärfe des Videobildes führt. Unterhalb der Monitore erstrecken sich in weißer Neonschrift die Worte "mare nostrum" fast über die gesamte Länge des Werkes. Ein Teil der funktionalen technischen Ausstattung, die drei Raspberry Pi-Mikrocomputer, sind symmetrisch über den Monitoren angeordnet und definieren, zusammen mit einigen Kabeln, die streng geometrische Komposition der Skulptur.
Zu Beginn des Videos, das in Dauerschleife läuft, zeigen die Monitore gemeinsam in ihrer gesamten Ausdehnung den weitläufigen Ausschnitt einer bewegten, dunklen Meeresoberfläche, aufgenommen aus einem bestimmten Blickwinkel und aus einer bestimmten Entfernung, so dass man weder den Horizont noch den Himmel sehen kann. Man hört das typische Rauschen einer relativ ruhigen See in Küstennähe und gelegentlich die Vogelschreie von Möwen. Nach kurzer Zeit erscheint auf dem zentralen Monitor eine rhythmische Abfolge kleiner roter Striche, die wie Nähmaschinenstiche oder Heftmaschinennähte in die Wasseroberfläche appliziert werden. Nach und nach bilden sich aus den Stichen bzw. Strichen einzelne Buchstaben die zu Wörtern werden und schließlich Sätze bilden. Das Ergebnis ist die Erscheinung eines Gedichts auf dem Meeresausschnitt des mittleren Monitors, das sich anschließend langsam den Betrachter*innen nähert. Das schwimmende Gedicht erscheint vergrößert auf allen drei Bildschirmen im Vordergrund und beginnt sich schließlich vom Ende her aufzulösen, so als würden die Nähte von hinten nach vorne aufgetrennt werden. Am Ende ist die Schrift ganz verschwunden und das kontemplative Bild des Meeres erscheint wieder. Das Gedicht stammt von Marco Mantello:

Quando dici legalità, al singolare
quasi ce ne fosse una sola
che sia sacra di suo e solo perché legale
Tu confondi questa lurida morale
dei fatti nostri e del casa tua
con tutti i nomi dei morti in mare
(If you say it´s the Law
in its singular form
like there´s only one Law
that is sacred itself on the earth
you confuse moral theory
of your business and home
with the names of the dead
written in water and not in stone)

Mantellos Gedicht an sich hat keinen Titel; "mare nostrum" ist der Satz, den Costantino Ciervo in Form einer Neonschrift in die Komposition der Skulptur eingefügt hat und der gleichzeitig als Gesamttitel des Werkes dient.
Zur Lektüre der Verse, die auf dem Wasser auftauchen und schwimmen, kommt die visuelle Wirkung hinzu. Die skripturale Dimension nimmt in Form von Skulptur und Malerei zugleich Gestalt an. Auf diese Weise entsteht ein weiterer Interpretationsraum dank des Bildes des Meeres in Bewegung, der Lichtreflexionen, die es erzeugt, und der Dramaturgie des Videos in Kombination mit der leuchtenden Schrift; aus dieser Stille voller Geräusche und verschwindender Worte entsteht eine weitere Sicht der Dinge, die uns einlädt, über grundlegende Themen der zeitgenössischen Gesellschaften nachzudenken, darüber, was legitim und was legal ist, was nicht immer dasselbe ist.
In diesem Kunstwerk Poesie zu lesen bedeutet, Teil einer Welt zu sein, in der man sich entscheiden kann und muss, ob man auf der einen oder der anderen Seite stehen will; ob man von seiner eigenen egoistischen Moral (von seinem "eigenen Heim") überzeugt sein will, die oft Legalität wird und Todesfälle auf See verursacht, oder ob es heute noch Möglichkeiten gibt, Menschen in Europa willkommen zu heißen.